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CHAT ZUM STÜCK
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DIE DIGITALE KANTINE
die erste Idee 2019 war, dass das Publikum während der Aufführungen im HochX gemeinsam an Festzeltgarnituren kocht, isst, trinkt und redet. 2020 trugen alle Masken und hielten Abstand. Die digitale Kantine ist dazu da, dass Zuschauer:innen und Beteiligte zusammen kochen, essen, trinken und reden: vis a vis.
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PROGRAMMHEFT
Drama-Drama-Dramaturgie
Lara Schubert
Der theatralen Auseinandersetzung mit der GOETZIN geht eine lange Forschungsphase mit Götz von Berlichingen voraus: seiner Autobiographie, seiner Rolle im Bauernkrieg und seiner Bedeutung als dessen Chronist. In unserer Interpretation zeigt sich der Konflikt zwischen den Machtstrukturen, die Möglichkeit und letztendlich auch das Recht die geschichtliche Dokumentation zu behaupten. Solche Behauptungen textlich zu demokratisieren war schon Ende 2019 im Rahmen der HörPerformance: Utopie einer Gemeinschaft die Herangehensweise. Es gilt eine Fülle von Text durch eine Fülle von Stimmen zu demokratisieren. 2020 wurde der GOETZ dann eine GOETZIN. Stimme und Bewegung sind hier getrennt, denn die GOETZIN lässt sich den Text vorlesen, wie ein letztes Lied während sie die eigene Erinnerung im Körpergedächtnis auslebt. Dieser privaten Chronik wird ein lebendiges Gegenüber, eine öffentliche Protestbewegung als Bauernchor entgegengestellt. Der filmische Einsatz des Chors wird zur Möglichkeit, den Bühnenraum zu erweitern und dadurch zu öffnen. Eine Möglichkeit, die zunächst durch theatrale Inszenierungsgewohnheit schwer umzusetzen ist. Die unterschiedlichen Szenen werden in der Notation zu Bildern. 1. Bild: KEIN KONJUNKTIV | 2. Bild: NÖTE | 3. Bild: WIDERSTAND | 4.Bild: UTOPIE EINER GEMEINSCHAFT. Dass sich die Suche nach diesen Bildern nicht ohne die Dokumentation der hilflos Suchenden zeigen lässt, wird im Zwischenspiel der Szenen deutlich; Blicke hinter die Kulissen, Wege, stolpern und sich darin einrichten. Etymologisch betrachtet ist der/die Dramaturg:in - Begutachter:in und Bearbeiter:in von Bühnenstücken. Die Bearbeitung bestand in diesem Prozess darin, kein Bühnenstück entstehen zu lassen, mehr die Bilder zu denken und auf der Papierflut an Forschungsmaterial zu surfen.
Monolog + Chor 2020
Jan Struckmeier
Alle sind scheu vor ihr gewichen, die GOETZIN sitzt, in furchtbarer Ekstase, einsam. Was ist das? Das ist keine vorübergehende Schweißausdünstung: das ist ein Kämpfen bis zur Ermattung. Bewusst, dass das keine Held:innengeschichte sein kann. Nur: ihres Zerbrechens bewusst. Der Chor leidet: jede:r für sich und alle miteinander, mit-teilend, mit-leidend. Durch die Ekstase! Die ist keine RauschBeglückung, die ist rein das Aus Sich Heraustreten. Nur: wie einsam ist es da draußen? Die GOETZIN, die ist da draußen, ganz allein. Niemand mehr bei ihr. Sie hält sich an ihren Worten, Erinnerungen fest. Der Chor bricht ein: leidend - glücklich deshalb, weil das Individuum mehr leidet.
Was ist Chor? Chor wird oft als viele Stimmen = viel Kraft gedacht. Aber Chor ist Pluralität, die in der Welt ist: in eine Vielstimmigkeit übertragen. Zwei Extreme: mehr oder weniger stakkatohaftes Sprechen - und - babylonisches Sprachgewirr. Stand 2020. Seit der 68er-Bewegung öffnet sich das Denken immer weiter. Es gibt eine Flut an kontroversen, verschiedenen Meinungen, die zunehmend ihr Medium gewinnen. Das ist richtig und gut, weil Hierarchien | Machtstrukturen aufgelöst werden - diese Vielstimmigkeit bewirkt aber auch Reizüberflutung. Der Chor: drückt genau dies aus, hat damit etwas Modernes - und - Archaisches.
Doch: Gemeinschaft ist kein dauerhafter Zustand, sie stellt sich nicht, nein, sie bietet sich kurze Momente dar.
Update 2021
Das Prinzip GOETZ-IN vollzieht durchgängig neue Entwicklungsstufen. Ursprünglich als verlassener Chorist gedacht, der sich durch den fragmentierten Text kämpft, aus dem die Satzfetzen herausbrechen, bekommt die GOETZIN mit Daniela eine andere Form. Die aktive Version - ein letztes Aufbäumen - verschwindet zugunsten einer GOETZIN als Zuhörerin ihrer eigenen Stimme. Es fasziniert mich immer wieder, wie sehr die Performerin Daniela als GOETZIN sich selbst zuhört. Und was? - einem schwer verständlichen, weil spätmittelalterlichen, weil auch als Nicht-Muttersprachlerin eingesprochenen und damit doppelt abstrakten Text. DAS IST MUSIK! Und auf dieses Soundfeld reagiert ihr Körper. - zeigt die Mühen des Erinnerns und die Einsamkeit des Alters und kommentiert diese und flieht nicht in einen Aktionismus. Der Kampf mit der Sprache ist bereits geschehen, im Tonstudio: eine Woche den Text aufnehmen. Im Raum (ob im Theater oder am Rechner zuhause) ist diese Tonaufnahme Zeugnis und die GOETZIN, sie findet dann doch Frieden. Das war nicht meine Absicht, aber wer bin ich, dass ich Daniela nicht zuhöre, die nicht da endet, wo die Schweißausdünstung die Luft erstickt, ja, sich durch die Ermattung der sechs unterschiedlichen Slots arbeitet, um dann zu erzählen, was nach dem Ende eines Kämpfens bis zur Ermattung - meines Märchens - kommt: etwas Unbestimmbares, Ungreifbares und doch Selbstbewusstes: wichtig ist doch nicht das Erzählte, sondern der Sog des Erzählens. Und dann ist das Stocken vielleicht doch nicht mehr so groß, die Einsamkeit nicht mehr so fundamental: aber das gebe ich gerne auf, wenn ich dem Zuhören zusehen darf.
Zum Chor mag ich nicht mehr viel sagen: nur! Das babylonische Sprachgewirr, der ganze Teil in Brandenburg mit Interviews vor Ort ist in der Online-Version raus, weil es nur in einem echten Raum funktioniert. Einerseits, weil der Bildschirm nur zwei Audio-Kanäle hat und man deshalb das Ohr hätte leiten müssen und das widerstrebt dem Prinzip. Andererseits wäre es nicht fair gewesen. Theater ist ein geschützter Raum: dort kann man die Grenzen viel weiter ausreizen, etwas Ungewohntes zu testen. Der Chor der Interviewten bleibt analog.
Die Transducer sind aus
Kalas Liebfried
Ich arbeite immer mit gefundene Klangaufnahmen aus Archiven und Datenbanken oder auch mit den Kompositionen anderer Künstler:innen als Ausgangsmaterial. Für GOETZIN entschied ich mich, mein eigenes Archiv als vorgefunden zu definieren und nahm zwei bestehende Klangstücke als Grundlage für die 8-Kanal-Komposition. Diese weisen unmittelbare thematische Überschneidungen auf: In Ambient for a Silent Forest (2019) werden die verstummten Wälder einer dystopischen Zukunft beschworen: Feldaufnahmen von Rufen und Gesängen gegenwärtig bedrohter Vogelarten treten in ein dialektisches Verhältnis zum Flötenspiel und werden mit synthetische Modulationen in Orgeln, Streicher und Geräuschteppiche verwandelt. Das Klangstück verhandelt das sowohl destruktive wie produktive Verhältnis zwischen Kultur und Natur und die fortwährende Zerstörung natürlicher Habitate, u.a. auch durch eine Landwirtschaft der Monokulturen. Ursprünglich wurde die Arbeit in Resonanz zu Joseph Beuys Das Ende des 20. Jahrhunderts konzipiert und rings um das Werk in der Pinakothek der Moderne München aufgeführt. In das Thema Natur bricht dann der Krieg herein: das zweite Klangstück trägt den Titel Ambient Variations for a Bunker (2020) und wurde für den ehemaligen Hochbunker an der Ungererstraße (München) komponiert und im nun dort beheimateten Kunstraum BNKR aufgeführt. Dumpfe Bombeneinschläge, Maschinengeräusche, Luigi Russolos Intonarumori und sirenenartige Bläserflächen lassen einen bedrohlichen Klangteppich entstehen, der einen eingekapselten Zustand abbildet.
Für die Inszenierung wurde die zwei Arbeiten aus ihren jeweiligen Kontexten gehoben und in einem neuen eingebettet, dabei gestückelt, gesampelt, geloopt und somit in den jeweiligen Sequenzen verwoben. Diese Methode hat etwas Nachhaltiges für mich. Klangmaterial ist für mich keine seltene Erde, es gleicht eher einem Organismus, der verpflanzt werden kann: in diesen Fall wurde es auf einem neuen (Bühnen-)Feld gesät und wächst in einer neuen Form weiter.
Man spürt die Reise oder wie ein Chor im Film auftreten kann
Mathias R. Zausinger
Als Dokumentarfilmer beschäftigt mich die Frage nach der Glaubwürdigkeit von Bildern und nach der Logik, mit der Filmbilder bestimmen, wie sie wahrgenommen werden. Als mich Jan und Lara im Februar 2020 besuchten, um zu fragen, ob ich Interesse hätte, für die GOETZIN 2020 zusammenzuarbeiten und mir von der Idee eines Chors, der über mehrere Videoprojektionen „den Raum betritt“, erzählten, war bald entschlossene Sache, dass wir eine dokumentarische Ästhetik brauchen und zusammenarbeiten würden. Die Proben fanden im Norden Münchens in und neben einer alten Scheune statt und ich war als Dokumentarist oft einfach mit dabei, wodurch die Unterscheidung von Probe und Schauspiel bald fast ganz verschwand und viele Momente durch ihren Charme und die Spannung eines ersten Versuchs gleich zum endgültigen Film werden konnten. Als sich dieses Gefühl in der Gruppe durchsetzte, dass jeder Moment im Film landen kann und der ganze Acker eigentlich eine große Bühne ist, wurde das Geschehen am „Set“ immer lebendiger und verlor nur selten seine theatrale Spannung. Es entstanden Bilder, die derjenigen, die sie sieht, viel Raum lassen, um sich dem Gezeigten mit einer gefühlten Freiwilligkeit zu nähren. Wird das Vertrauen zum Bild auf diese Art eingegangen, entwickelt dieses eine ganz andere und unwiderstehliche Kraft von Empathie, wie es eine noch so immersive Fiktion kaum je vermag. So bewegt sich die Kamera bei GOETZIN 2020 oft in respektvoller Distanz, mit dem Ziel, dem Chor fast zu nah sein zu können. Eine andere Szene, die durch das Video auf die Bühne und zum Publikum gebracht werden musste war die Reise auf den Spuren des historischen Götz von Berlichingen. Diese führte zu den Artefakten seines Lebensumfelds, zu den Burgen und in die Städte des 16. Jahrhunderts, zu seinem ehemaligen Wohnsitz in Burg Hornbach und zur Burg Wildenberg, die er mit den Bäuerinnen stürmte. Aber Bildern dieser Burgen und Orte, statisch abgefilmt und ohne Menschen, fehlt eine Relation. Es braucht motivierte Bewegung – einen „Sturm auf die Burg“. Die historischen und räumlichen Dimensionen mussten erzählt werden, sonst drohte ein einschläfernder und vor allem austauschbarer Teil des Videos zu entstehen. Wir mussten also diese unsere Reise ins Grenzgebiet des heutigen Unterfranken und nördlichen Württemberg ebenso mit dem Charme des Dokumentarischen behandeln und uns selbst als Figuren inszenieren und erzählen. Genauso war es bei der Reise mit Theresa und Anne zum Odeonsplatz, wo wir um 3 Uhr morgens auf die Dämmerung warteten, bis der alte Sessel seinen Auftritt hatte und Theresa darauf sitzend zu lesen beginnt. Dass diese Bilder „echt“ sind, steht außer Frage, aber der Versuch, dass diese „Echtheit“ Nähe und Verbundenheit zu den gezeigten Menschen hervorruft, ist oft ein flüchtiges Unterfangen und unmöglich ohne die Situationen, in der alle aufmerksam den Moment beobachten. Wir sind fast alle übersättigt mit Aufnahmen von fremden Orten, aber eine Reise zu erzählen, macht uns die Bilder, die dabei entstehen, zu eigen. Einerseits, weil sie bei den Reisenden unmittelbar ins Gedächtnis einsickern und sich mit der Erinnerung an das Erlebte vermischen, andererseits weil jedes Bild so die Kraft des persönlichen Moments in sich aufnimmt – das ist spürbar: auch zu anderer Zeit und in einem anderen Raum.
Quellen
Augustin: Rechnung des Henkers, Kitzingen 1525
Berlichingen, Gottfried von: Mein Fehd und Handlungen.
Degenhardt, Franz Josef: Ballade von dem Bauernführer Joß Fritz oder Legende von der revolutionären Geduld und Zähigkeit und vom richtigen Zeitpunkt
--: Ein schönes Lied
Graf, Oskar Maria: Das Leben meiner Mutter.
Luther, Martin: Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern
N.N.: Interview mit Jan Struckmeier (bittet darum, anonym zu bleiben wegen nicht im Stück verwendeter Aussagen)
Sachs, Hans: Ein schönes Lied, wie es in ganzem Deutschland mit den Bauern ergangen ist
--: Landknechtsspiegel
Saller, Walter: Kampf der Knechtschaft. In: GEO EPOCHE Nr. 39/GEO EPOCHE Kollektion Nr. 18
Weil, Simone: Die Verwurzelung. Vorspiel zu einer Erklärung der Pflichten dem Menschen gegenüber
Weiz, Angelika / G.O.V.: Unsere Heimat