HörPerformance: Utopie einer Gemeinschaft
HörPerfomance - OKTOBER 2019
In Kammerberg angekommen:
die Scheune wird umgebaut
90 Minuten:
die PerformerInnen wandern
Textarbeit für den Chor
06.10.2019:
ZuhörerInnen gehen mit uns den Weg, kochen, essen und trinken mit uns
Utopie einer Gemeinschaft
Fotos © Lara Schubert & Barbara Westernach
06.10.2019 ab 15:25 Uhr
Kammerberg: Abschluss. Einladung zum Zuhören, aber nur für den Moment.
[ACHTUNG! Der Livestream ist beendet. Da es sich um eine HörPerformance handelte, war sie nur während der 4:30 stündigen Übertragung zu hören.]
HörPerformance: Utopie einer Gemeinschaft
Blog.
[weitere Einträge zur Wanderung folgen bei Gelegenheit]
16.09.2019
nach Würzburg: Ulmschneider: Von Miltenberg, wo zu guter Letzt doch noch alles verwüstet worden war, über das mainzische Külsheim - dort hatte Götz ein paar Bauern, die den Kasten plünderten, 'die stegen hinab geworfen' -, die mainzische Gamburg und das ebenfalls mainzische Neubrunn war der Haufen in einem Tag nach Würzburg marschiert. Götz rechnete sich später die Erhaltung der Gamburg wie auch das Verschonen des mainzischen Amtmanns zu Stadtprozelten als ausdrückliches Verdienst an. KURZ: nach Stadtprozelten schaffe ich es mit Mühe, immer am Main entlang, nach Wertheim gerade so. Gepäck und Kilometer sind jetzt zu viel. Unter dem Fuß platzt eine der Blasen. An einem Tag nach Würzburg: Zweifel. an mir oder an Götz Ehrlichkeit. Grenzerfahrung Main. Den Wald vor Augen. Am Wasser viel Industrie.
15.09.2019
nach Miltenberg: Sonntag. zuerst in den Gottesdienst. Sprich mit den Sprachlosen ein Wort, | sing mit den Traurigen ein Lied, | teil mit den Einsamen dein Haus, | such mit den Fertigen ein Ziel. Predigt: Dank an einzelne Gemeindemitglieder - für ihr Engagement. Eine Familie aus Amorbach ist in die Ukraine abgeschoben worden, obwohl sie dort bedroht wird. Der Glaube wird immer noch kaum als Asylgrund anerkannt. Familie Ahmadi|Novsaz konnte die Feiertage nicht auf deutsch aufsagen. Die Behörde zweifelt an ihrer Religiösität. Religiös? Religiös? Ich glaube, viele wissen gar nicht mehr, was das ist! Aufstieg zur Gotthardsruine: die Probstei ebenfalls zerstört. Weiter: ohne Frühstück - nur Abendmahl: Reserven. Wildtollwood. Gefährdeter Bezirk. Immer hinauf. Die Unterbrechungen häufiger. Aus dem Wald: Lichtung. Eine Wirtschaft hat geöffnet. Abstieg: direkt hinab am Mountainbike-Weg. Abends: keine Besichtigung Miltenbergs.
14.09.2019
Amorbach: gestern Abend noch zur Schola-Probe im Gemeindezentrum. Kontaktaufnahme. Mitsingen. Gespräch arrangiert mit Springer, 3. Bürgermeister (CSU). Vorab Besichtigung der Abteikirche. Ulmschneider: Die Ereignisse dort unterscheiden sich kaum von dem Vorgehen der Bauern in ähnlichen Situationen. Die Verwüstung des reichen Bendektinerklosters bildete später den Anlaß zu dem [...] Prozeß, den Kurmainz gegen Götz wegen 'Beschädigung' anstrengte. Bis zum Überdruß werden darin alle Einzelheiten immer und immer wieder vorgetragen: Wie die Bauern das Kloster einnahmen, plünderten und alles zerschlugen, die Hauptleute, voran Götz, dem Abt Jakobus eine unerhörte Behandlung zuteil werden ließen, ihm alle Kleider wegnahmen, ihn in einen Leinenkittel steckten und in der mainzischen Kellerei nach seinen Schätzen verhörten, ja, die letzten Silberbecher von ihm erpreßten. 'Mit ungestymigkeit' habe Götz den alten Herrn 'mit der eyßsern handt an die brust freventlich geschlagen, damit sagende, lieber abt, ihr habt lang auß silbern bechern gedruncken, drinket auch wol ein zeit auß kraußen!' Vom Bauernkrieg nichts zu sehen. Alles wieder in Gold. Von Mönchen auch nichts. Säkularisierung 1803: nun Hofkirche: genutzt von der evangelischen Kirchengemeinde (heute 500). im Sommer. im Winter: Umzug ins warme Nebengebäude. Treffen: am Löwen. Weiter zur ehemaligen Mainzer Amtskellerei: hier lassen sich die Bauern nieder. Gespräch über Amorbach, Bauernkrieg und Wald. Springer erzählt.
13.09.2019
nach Amorbach: festes Schuhwerk. Aus Buchen heraus: nur eine Landstraße nach Mudau. Ich steige in den Wald. Quer durch's Land. Alle Waldwege führen zurück zu Landstraße. Entnervt: doch entlang. überall Müll. 1 Kreuz. dann endlich: der Waldweg führt nach Stürzenhardt: immer durch den Wald - rauf. Am Ende: Straße. Trampen nach Beuchen. Da immer runter! Vom Acker durch den Wald ins Tal: folge dem Nibelungensteig, lande auf dem SmartPfad: hoch zur Burg Wildenberg - vermutlich Vorbild der Gralsburg in Wolfram von Eschenbachs Parzival - DROGE FAUST! - 1525 von den Bauern niedergebrannt. Ruine. Weiter nach Amorbach: im Kopf Spieß voran! Drauf und dran! Setzt aufs Klosterdach den roten Hahn!
12.09.2019
Buchen: der schnelle Götz von Berlichingen verlässt 1525 seine Burg. Zuvor traf er die Bauern: er will den Aufstand für seine Zwecke nutzen - Geschäftsmann. Ulmschneider: Obwohl es Götz wünschenswerter dünkte, 'im aller bösten thurn ... in der Turckey' zu liegen, fand er sich [...] in Buchen ein. Zunächst schickte er einen Boten mit einer schriftlichen Erklärung zu den Haufen, dann mußte er selbst in den Bauernring treten. Dramatische Szenen spielten sich nun ab. Während der eine berichtet, wie Götz mit aller Beredsamkeit sich den Forderungen der Bauern zu entziehen versuchte, wobei ihm, kaum glaublich, 'damit die zeher uber die backen' hinabliefen, erzählt ein anderer, daß der Ritter trotz ungestümer Behandlung seitens der Bauernschaft eine mannhafte Ansprache an diese gehalten habe: Sie sollten von einem Zug nach Würzburg absehen, denn das sei nicht ihr Herr. Ihre Beschwerden sollten sie ihren zuständigen Herren vortragen. 'Laßen uns den fynden die beuch wenden und nit die rückhen!' Wenn der Schwäbische Bund daherzöge, seien sie alle verdorben. Den Schneider von Pfedelbach, der ihn mit großem Geschrei vom Roß herunter gefangennehmen wollte, ließ er spöttisch wissen: 'Du hast gut reden, so du sovil hast umb dich stön; wann du mich im feld allein fiengest, wöllt ich dich loben!' Der Platz ist erhalten: eine Steinplatte erinnert. Anbei ein Museum: zu! - der Verein ist am Aussterben.
11.09.2019
Burg Hornberg: auch Ruine. Die Fehden ab 1508 machen Götz zu einem reichen Mann. 1517 kauft er die Burg Hornberg. Von hier hat er einen guten Ausblick auf Neckar und Tal. Heute dient er als Attraktion. Zu sehen: Burg Guttenberg und - wie gestern - EnBW Energie Baden-Württemberg AG, Heizkraftwerk Heilbronn. Generell viel Industrie. Von Hutten: Man lebt auf dem Felde, in Wäldern und in jenen Felsennestern. Die uns Nahrung schaffen, sind ganz arme Bauern, denen wir unsere Äcker, Weinberge, Wiesen und Wälder verdingen. Der Ertrag, der von ihnen kommt, ist für die Arbeit, die darauf verwendet wird, gering und schmal, aber mit großer Mühe und großem Fleiß wird gearbeitet, damit er reich und lohnend werde, denn wir müssen sehr sorgfältige Haushälter sein. [...] Ob unsere Behausung auf dem Berge oder in der Ebene liegt, sie ist nie zur Behaglichkeit, sondern zum Schutze erbaut, mit Wall und Graben umgeben; innen ungeräumig, mit Vieh- und Pferdeställen zusammengedrängt, daneben finstere Schuppen voller Kanonen,Pech und Schwefel und was sonst zur kriegerischen Ausrüstung an Waffen und Maschinen gehört. Überall der Gestank des Schießpulvers, dann die Hunde mit ihrem Unrat - das duftet lieblich und angenehm, sollt ich meinen! Reitersleute kommen und gehen, auch Raubgesindel, Diebe und Wegelagerer, denn gewöhnlich stehen unsere Häuser offen, und unsere Leute wissen selten, wer einer ist, oder fragen nicht viel darnach. Man hört das Blöken der Schafe, das Brüllen der Ochsen, das Bellen der Hunde, das Schreien der Feldarbeiter, das Rumpeln und Gerassel der Karren und Wagen, ja, in unserer Gegend, wo die Wälder nahe sind, auch das Heulen der Wölfe. Der ganze Tag ist mit Angst und Sorge um den nächsten, mit fortgesetzter Bewegung und dauerndem Sturme ausgefüllt. Ich sitze, lese und schreibe im Pferdestall (2. H. 16 Jh.). Nach dem Bauernkrieg: Götz stirbt nicht Freiheit, Freiheit! rufend, er wird zum Gefangenen auf seiner eigenen Burg. Er darf sie nicht verlassen. Er hat 7 Söhne, 3 Töchter. Die direkte Linie: ausgestorben. Der wird nicht sein Vater; sonst ging' er mit in Stall.
10.09.2019
Weinsberg: ich hasse es, zu reisen. Die letzten Tage: mein Körper rebelliert. Zuckungen - geplatzte Äderchen in beiden Augen - das Wochenende Kälte und Regen. Nun bin ich hier. Blickle: Am Osterfest, als in Oberschwaben Frieden einkehrte, begann der Krieg in Franken. In Weinsberg lag eine starke Besatzung zum Schutz des Herzogtums Württemberg. Ihr Befehlshaber, Graf Ludwig von Helfenstein, hatte den Bauern mit dem Verbrennen der Dörfer gedroht, also ein bis zum Reichslandsfrieden von 1495 herkömmliches Mittel adeliger Fehde ins Spiel gebracht. Für die Bauern war das Grund genug, handstreichartig Stadt und Burg einzunehmen und die Besatzung aus Adeligen am 16. April durch die Spieße zu jagen, anschließend hatte man sie 'nackhendt ausgezogen und ligen lassen'. [...] Die Weinsberger Tat war das Werk des Neckartal-Odenwälder Haufens. Er war, wie viele Zusammenschlüsse in Franken, Thüringen, Sachsen und am Ober- und Mittelrhein, entstanden, nachdem die Zwölf Artikel im Druck erschienen waren. Aufstieg zur Burgruine. Nach der Zerstörung durch die Bauern kein Wiederaufbau: genutzt als Steinbruch. Die Bluttat aber unten - beim unteren Tor: Spießrutenlaufen - ein quälend langsamer und unehrenhafter Tod für Graf Helfenstein und Co. Vergeltung: Verbrennung des Jäcklein Rohrbach und Co. Gewaltspirale. Tragischer Wendepunkt. Gespräch mit Historiker - will anonym bleiben. O-Töne nur live!
02.08.2019
Brandenburg: es reicht mir mit Berlin. Ich fahre raus. Marie, Performerin, organisiert seit 2013 das Festival Für Freunde auf dem ehemaligen Rittergut Hof Dahnsdorf. Die Philosophie ist Utopie. Vernetzung von Akteuren und Zuschauern. Ruhe. Experimente. Provinz. Das Festival ist ehrlich. direkt. Gespräch abseits: über das Leben nach '45. Wer Russen kennt, kann diese Menschen nicht hassen. Durchatmen: das Programm ist vielfältig. Ich höre eine Lesung von Carmen, einer Münchner Autorin. Sie schreibt unerhörte Literatur. Ich kenne nur wenig tatsächlich unerhöre Literatur, noch schöner ist es, diese live zu hören. Klassisches Konzert. Naturwissenschaftlicher Vortrag. 2 x Theater, etc. Viel, aber nicht ermüdend. Gespräch mit Stefanie, Österreicherin und Wahlberlinerin: deutsche Identitätskrise als Selbstidentität: vererbtes Trauma. Denken in Zeitabschnitten.
Abreise. Peymann zu Schleefs 75. Geburtstag: Eigentlich müssten die Theater einmal für fünf Jahre geschlossen werden, Vorhang zu, eine Pause einlegen. Und dann ganz neu beginnen! Wie hat George Tabori immer gesagt: Dann wird man wieder anfangen, in den Vororten Theater zu spielen! Die Anarchie in den Katakomben [...]. Warum warten?
01.08.2019
Berlin: halber Tag im Archiv +. Freundlicherweise hat mir das Archiv noch kurzfristig die Video-Dateien für Mütter und Verratenes Volk bereitgestellt. Da ich diese gestern nur kurz sichten konnte, darf ich heute nochmal für ein paar Stunden kommen. Natürlich reicht die Zeit auch jetzt nicht. Schleef bleibt maßlos. Seine erste Frankfurter Inszenierung und seine letzte Berliner vor seinem plötzlichen Tod 2001. 16 Jahre dazwischen: unverkennbar beides Schleef und doch anders. Verratenes Volk ist mehr Theater, Mütter Experimentierfeld. Gegenwind immer. Danach: Treffen mit Jürgen. Wir kennen uns bereits aus München. Er arbeitet als Chorleiter. In Verratenes Volk spielt er einen Offizier, wird BühnenOpfer einer Gruppenvergewaltigung. Gewalt ist bei Schleef immer echt. Deshalb: Äxte statt falscher Gewehre (Mütter) - deshalb: immer blaue Flecken nach den Aufführungen bei Jürgen. Wir reden 3 Stunden: über Chöre und Chorführer. Klarheit: Unterschied zwischen Schauspieler-Chor und Laienchor.
31.07.2019
Berlin: sechster und letzter Tag im Archiv der Akademie der Künste. Rühle gegen Ende seiner Intendanz in Frankfurt über das Theater in den 1980er Jahren. Zusammengefaßt: Wo vor zwanzig Jahren so viel von Konflikt, Umbruch, Kritik und Dissens die Rede war, von Widerspruch und neuen Ufern, zeigt sich heute auf der Oberfläche ein Verlangen nach Affirmation, Anerkennung und Einverständnis mit dem Erreichten, nach Konsens, nach einer Kunst der Stimmungen, der Valeurs, der Eleganz – der Erinnerung, die nicht mehr weh tut. In der Pause: Gespräch mit Thomas, von dem ich mir Feuer borge. Seine Architektur-Entwurf wurde als Schweinestall bezeichnet. Ich sage ihm, dass gute Architektur stinken muss. Das meiste heute ist steril. In Kiew stehen Hochhäuser, die sehen wie Motel One Hotels aus. Reihenweise nebeneinander.
29.| 30.07.2019
Bonn: Tag 4 und 5. Die Pause über das Wochenende war nicht gut. Der Wetterumschwung tut sein übriges. Sammlung von Kopien Bauern-, Landsknecht- und anderer Lieder durchgelesen. Bibliographische Angaben notiert: wichtig für die eigene Materialsammlung. Lektüre für zuhause Jäckel, Steinitz, Strobach, etc. Kopfschmerzen. Außerdem Neunzehnhundertachtzehn angesehen. Das Stück beginnt, wie der Urgötz endet: Martin Wuttke an der Schreibmaschine. Am Ende wieder die große Deutschland-Fahne von Broich über den Steg durchs Publikum gezogen. Mai 1989 Müller: Klar ist doch, daß mit dieser Fahne alles zugedeckt wird, was an sozialen und Klassenproblemen vorhanden ist. Es ist in Deutschland immer alles zugedeckt worden, es hat weder eine wirkliche Revolution, noch ein wirkliches Austragen von Gegensätzen und Widersprüchen gegeben.
26.07.2019
Berlin: 3. Tag Archiv. Treffen mit Schleefs Archivarin Todd und seinem Lektor und Dramaturgen Müller-Schwefe. Zwei Stunden Gespräch: über Urgötz-Inszenierung und Arbeitsweise. Keine Bequemlichkeiten: nichts Gemogeltes! Chordynamiken bei Leseproben entstanden - Textarbeit sehr intensiv. Nie locker lassen, nie Kräfte einteilen, immer nochmal anders: Premiere war immer Premiere. Kritik nach jeder Aufführung.
25.07.2019
Berlin: 2. Tag im Archiv: die Aufzeichnung angesehen. Immer wieder gestoppt, im Stück orientiert - in der Bühne orientiert. Überforderung. Die Bühne ist ein Steg: lang und von der Kamera nicht einzufangen. Szenen passieren gleichzeitig. Selbst im Dialog redet jeder für sich und über den anderen drüber. Die Figuren befinden sich im KriegsDauerzustand. DFP: Die Kampf-Szenen, die sich gegen Stückmitte ausdehnen, sind von Beginn an vorbereitet, münden im Schlußakt in die gesellschaftliche Katastrophe. Dadurch, daß Kampfhandlungen nur in ihrer Gleichzeitigkeit darzustellen sind, stößt der Autor an die Grenzen des damaligen Theaters, [...] als Autor, von Einengung befreit, demonstriert er eine grausame Bloßlegung der Gegner-Parteien. Aus der Vogelperspektive wechselt der Blick hin und her, gleitet von der einen zur anderen Partei, hängt sich oft an eine Figur, um auf eine andere zu prallen. Diese Vogelperspektive ist Goethes Formulierung des Kriegsfurors, der bei Shakespeare ungebremst durchbricht, den Großteil seiner Stücke bestimmt. Nur durch den Furor ist ein sich Absetzen vom antiken Chor möglich. Selbst wenn Shakespeare die Chorgrobform, alle sprechen einen Text, möglichst meidet, besteht sie doch weiterhin durch die Art der Kriegsführung, Rudel- oder Haufenbildung, der sich seine dramatischen Abläufe insgesamt nicht entziehen. Chor zu denken, heißt nicht einen Ton finden, Chor denken, heißt Ekstase. Ekstase, wie sie Nancy meint als keinerlei Gefühlserguß, und noch weniger irgendeine mystische Verzückung. Sie definiert […] die Unmöglichkeit einer Individualität im strengen Sinn, fügt aber hinzu: wie auch die einer reinen kollektiven Totalität.
24.07.2019
Berlin: Tag 1 im Archiv. Der Urgötz ist ein dunkles Loch, aus dem es kein Entkommen gibt, auch wer auf den Baum klettert, bleibt nicht ungeschoren. Unterscheidung zwischen historischen Fakten und ihrer Bedeutungsveränderung im Stück. Verwischen nicht erlaubt. ALSO: kein Verflechten der Texte. Die Ausgangslage ist anders: Schleefs Götz beginnt zu schreiben, weil er müde ist: aus Rache - gegen Adelhaid + Co. Unterschied: Schreiben erst Jahrzehnte nach BühnenTod als - wacher - Greis. Goethe schafft eigenen Kosmos: keine Chronik des Bauernkrieges. Die Frage, was wäre, wenn die Bauern gesiegt: bleibt unbeantwortet. Sie sind nur Randerscheinung - bieten keine Identifikation. Der Bauer Metzler ist ein Metzler, der metzelt, kein Bauernanführer, ein Henker. Gewalt verhindert Utopie: zu einfach.
05.07.2019
Weiter Weil: Man spricht davon, Hitler zu bestrafen. Aber man kann ihn nicht bestrafen. Er hat nur eines begehrt, und dieses Eine hat er erlangt: in die Geschichte einzugehen. Man töte ihn, man foltere ihn, man schließe ihn ein, man demütige ihn, immer wird die Geschichte da sein, seine Seele zu beschirmen vor jeder Verletzung des Schmerzes und des Todes. Was immer man über ihn verhängen wird, es wird unausweichlich ein geschichtlicher Tod, geschichtliches Leiden, Geschichte sein. [...] Die einzige Art, wie man Hitler bestrafen [...] könnte, bestünde in einer so vollständigen Umwandlung dessen, was als groß gilt, dass er davon ausgeschlossen wäre... Es ist ein Wahn... zu glauben, man könne Hitler von der Größe ausschließen, ohne unter den heutigen Menschen den Begriff und die Bedeutung der Größe von Grund auf umzuwandeln. Götz muss auf die Bühne: als einer, der sich schwer zurechtfindet in einer sich verändernden Welt, der steht, in furchtbarer Ekstase, einsam. Und der Gegenentwurf: die Utopie einer Gemeinschaft mit ihrem Riss, mit einem Trotzdem, das zerrissen: ein Trotzdem kommuniziert – ohne Auflösung.
04.07.2019
Seit Halle: trage ich eine Zitatesammlung Weils mit mir herum. In allem, was den Geist angeht, hat die moderne Welt den Bauern gewaltsam entwurzelt. Weil sieht die Entwurzlung als die gefährlichste Krankheit an, sie stirbt 1943 im Exil. Duras schreibt über die Krankheit Tod. Beide pathologisieren das Unbegreifbare. Den Chor-Riss. Da ist noch der Utopie-Gedanke, die Hoffnung auf Heilung, ihre Überreste: ein menschlicher Gedanke. Und gleichzeitig ist der Verlust der Gemeinschaft eine Erfindung: also ein moderner Gedanke. Was aber bleibt ohne Utopie der Gemeinschaft? Gegenreaktion: Klammern an ein Ideal im Individuum. Ein Individuum, das zum Helden stilisiert wird: zum Freiheits-, National-, zum bürgerlichen, antibürgerlichen, Revolutionshelden. Jede Zeit formt sich die Helden, die sie braucht. Dagegen die Anonymität des Mittelmeers. Diesen Schock überwinden wir nicht mit Likes und bildergeschwängerten Teilnahmen an Demonstrationen. Was bleibt, ist eine mutige Sea-Watch Kapitänin Rackete und eine solidarische Spendenaktion. Moderner Ablasshandel. Verweigern? 2018: in München Demonstrationen, ein Aufbegehren gegen menschenfeindliches Gedankengut, Solidarität, #wirsindmehr. Die Leute sind politisch geworden, vor allem die nach 2000 geborenen. Dann: Landtagswahlen und Linke, Grüne und SPD - auf den Demonstrationen groß - kommen auf 30 %. Die Blase platzt. Wir sind nicht mehr. Kaum Studenten bei Fridays for future. Verzweiflung: denke an meinen Freund Moritz. Er arbeitet im Sommer bei kleineren Festivals, wo sie öKlos aufstellen. Die wasser- und chemiefreien Toiletten ermöglichen irgendwann in wasserarmen Regionen einen besseren Hygienestandard. Drei stehen jetzt auch in Giesing. Weil: Niemand aber denkt heute an diejenigen seiner Vorfahren, die fünfzig, oder auch nur zwanzig oder zehn Jahre vor seiner Geburt gestorben sind, noch an diejenigen seiner Nachfahren, die fünfzig oder auch nur zwanzig oder zehn Jahre nach seinem Tod zur Welt kommen werden... Der Verlust der kollektiven wie der individuellen Vergangenheit ist die große menschliche Tragödie...
29.05.2019
OHNE TITEL: Einladung zur Eröffnung der Ausstellung in Halle (Saale) erhalten. Es ist nur ein Bruchteil zu sehen. Im Internet wird aber das gesamte bildkünstlerische Werk einsehbar sein. www.einar-schleef.de Auch hier maßlos viel: 7.500. Kloß, der Bearbeiter des Bildernachlasses, spricht von dessen Umfang ohne Zensur durch den Markt oder Schleef selbst. Es sind nicht bloß die Blüten. Die sind auch dabei, aber es zeigt auch das ganze Grün. Es ist eigentlich der ganze Garten da. Und dann hängt da 150x240 Mischtechnik auf Leinwand ohne Titel [Telefonzellen]. Hier wirkt Schleefs Thema noch vor dem Chor: die Einsamkeit. Dieses Bild ist nicht l'art pour l'art, nicht Engagement, nicht Action painting, nicht Realismus. Es ist so theatral, wie nur der antike Chor sein kann. Die pure Klage. Eigene Sprache heißt Mündigkeit, heißt Schuld, Strafe, heißt Individualität. Heißt Einsamkeit.
26.05.2019
gewählt: viele Gedanken zu dieser Europawahl gemacht. Soll ich oder soll ich nicht? Bin Sozi, aber nie politisch aktiv: außer einmal bei einem Kleinkunstabend im Heppel&Ettlich: UDE-Wahlkampf-Performance. Irritation damals. Der Fußballer Augenthaler saß im Publikum. Ich hatte eine Gedicht über die SPD geschrieben mit Wahlempfehlung. Wollte auch eine Ode auf Gabriel schreiben. Ging schief. Halbes Jahr später: selbst auferlegte Sprachkrise. Nicht deshalb. Nicht nur. Nochmal ein Jahr später: Schluss mit der Lyrik. Schade eigentlich - im Nachhinein. Inzwischen: immer häufiger die Frage: warum nie politisch aktiv. Zu blöd dafür? Zu zynisch? Habe gewählt. Kann mir vorstellen, jetzt politisch aktiv zu werden. Nach den Wahlen droht wieder allgemeine Ruhe.
16.-19.05.2019
parallel: Tanz & Chor. vormittags Proben für Sonntag zur großen Demo der Vielen. Frage: ob dies auch Vielfältigkeit beinhaltet? Konflikt zwischen Heterogenität und Homogenität: mit einer Stimme sprechen. Von den Faschos lernen, heißt wieder auf die Straße zu gehen. Und doch reagieren wir mehr noch auf das Gefühl der Isolation in diesem monströsen Neoliberalismus. Ein Macron als Hoffnungsschimmer macht mir Angst. Mehr als LePen. Pollyester, die Chorleiterin und Chorführerin, studiert mit uns eine Bearbeitung des Manifests Die Vielen ein. Der Chor spricht gut. Die Solisten neigen zum Pathos. Vereinzelung der Worte. Nachmittags als Zuschauer bei Orans Performance Who is Frau Troffea. Keine Sprache: trotzdem Kommunikation, also Gemeinschaft. Außerdem Zuhörer beim Symposium: Thema durative Performance (Zorn) und Tanzwut (Rohmann). Antiaristotelisch: die Einheit der Handlung: Anfang, Mitte, Ende: das wird als Phantasma entlarvt. Durative Exstase. Dem gegenüber historisch Mahnrede an die Heiden. Entwicklung der Tanzwut als Instrument zur Unterdrückung der Frauen im 15./16. Jahrhundert und nochmal verstärkt mit dem 19./20. Jahrhundert. Oran erklärt die Befreiung in den 10x7h als Tanz (happy) und nicht mehr Performance (not dancing). Der Chor der Vielen hat diese Zeit nicht. Auf der Demo-Route stehen Wagen mit Musik wie Installationen. Die Lautstärke drückt auf die Brust: die durative Extase, eine Tanzempörung steht bevor.
10.05.2019
86 Jahre danach: Lesung auf dem Königsplatz zur Erinnerung an die Bücherverbrennung 1933. Es regnet und stürmt den Tag über, die Sonne kämpft sich durch, blendet. Ein Regenbogen. Zufällig beende ich die Veranstaltung mit Grafs Kommentar zum Bauernkrieg 1525 und seiner Schlussfolgerung für seine Mutter: Die hat sich das Glauben an die Menschen abgewöhnt, und, naja, da glaubt sie eben bloß mehr an den Herrgott ... Ich aber kann überhaupt an nichts mehr glauben, das ist schlimm! Wohl auch nicht an den Erfolg der Revolution. Irritiertes Schweigen.
30.04. | 01.05.2019
abends: 100 Jahre Räterepublik. Die Stadt ist voll Erinnerung und doch leer. Lesung in Giesing aus der Reihe Uns kann nur die Revolution retten. Texte von Graf und anderen werden gelesen. Graf geht mit Rilke spazieren. durch diese Revolution geht ein Riss. Gemacht wird sie eigentlich nur von den Arbeitern und den meuternden Soldaten. Das Volk auf dem Land bleibt gleichgültig und macht nicht mit ... Die Bauern [...] halten alles nur für einen unsinnigen Spektakel ... morgens: Gedenkkundgebung für die gefallenen RevolutionärInnen am Eingang zur Residenz.
19.04.2019
heute: 30 Jahren nach der Premiere der Geschichte Gottfriedens von Berlichingen mit der eisernen Hand ... dramatisirt ist Karfreitag. Passt. Glaube und Glaubenskrieg: Götz gerät zwischen die Fronten der Konfessionen. Götz glaubt. Götz glaubt vor allem an sein Vorteil. Die Bauern glauben auch. Die Bauern singen. Als Adam grub und Eva spann, Kyrieleis, wo war denn da der Edelmann? Kyrieleis. Spieß voran! Drauf und dran! Setzt aufs Klosterdach den roten Hahn! Wir wollen's Gott im Himmel klagen, Kyrieleis, dass wir die Pfaffen nicht dürfen totschlagen, Kyrieleis! Spieß voran! Drauf und dran! Setzt aufs Klosterdach den roten Hahn!
"Bereits während seines 2018 abgeschlossenen Studiums der Theaterwissenschaft an der Universität München hat Jan Struckmeier durch eine Reihe von Inszenierungen und eigenen Stückentwicklungen, wie etwa dem Projekt 'Sinn-Spagat' (Mucca, 2016) auf sich aufmerksam gemacht. Seinen Arbeiten gehen intensive kulturhistorische Vorarbeiten voraus, deren theatrale Umsetzung auf minutiös erarbeiteten Sprech- und Bewegungschören basiert. Nun plant Jan Struckmeier eine Recherche zu den Bauernkriegen auf der Grundlage der Lebensbeschreibung des historischen 'Götz' von Berlichingen. Damit widmet er sich einer geschichtlichen Umbruchsituation, die in den alten Bundesländern teilweise ausgeblendet wurde, in der DDR hingegen stark ideologisch besetzt war. Neben einer eingehenden Quellen-Lektüre werden die historischen Schauplätze und Gedenkstätten auf einer Forschungsreise erkundet. Im Hinblick auf eine spätere theatrale chorische Umsetzung wird Struckmeier zudem die vorhandenen Dokumente zur Inszenierung des 'Ur-Götz' von Einar Schleef sichten und Interviews zu Schleefs Arbeitsweise mit dessen Chorführer führen. Ziel der Recherchen ist zunächst die Erstellung einer Hörspielfassung, der zu einem späteren Zeitpunkt eine Theaterversion folgen wird. Die Jury empfiehlt, dieses ambitionierte Vorhaben durch ein Stipendium in Höhe von 8.000 Euro zu unterstützen."